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Aktuell

Die IG Saatgut und über 200 Unternehmen, Verbände und Organisationen fordern die Politiker*innen der EU-Länder auf, die Deregulierung von Pflanzen aus den neuen Gentechnikverfahren zu stoppen. Alle Organismen müssen durch eine Risikobewertung und Überwachung, Nachweismethoden sowie Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung entlang der Lebensmittelkette abgedeckt bleiben. 

Übersetzte und gekürzte Version der im Original englischsprachigen Stellungnahme.

11. Februar 2025
GEMEINSAME ERKLÄRUNG ZUR DEREGULIERUNG NEUER GVO

Schutz des wirtschaftlichen Überlebens kleiner und mittelgroßer Züchter*innen, Landwirt*innen und der Bio- und GVO-freien Sektoren in der EU.

Die europäischen Länder diskutieren über einen neuen weitreichenden Gesetzesvorschlag zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Er umfasst gentechnisch veränderte (GV) Nutzpflanzen und Wildpflanzen, die mit neuen Geneditierungstechniken (NGT) hergestellt werden. Diese GVO-Pflanzen werden auch als „neue GVO“ oder „NGT-GVO“ bezeichnet und werden größtenteils durch Patente geschützt sein, ebenso wie „alte GVO“. Der Vorschlag wird die Kontrolle, die eine Handvoll Unternehmen über Landwirt*innen ausüben, verstärken und die Freiheit des Verkehrs von genetischem Material für Züchter*innen und Landwirt*innen einschränken. Er stellt eine ernsthafte Bedrohung für das wirtschaftliche Überleben kleiner und mittlerer Züchter*innen und Landwirt*innen in Europa sowie für den ökologischen und gentechnikfreien Sektor dar. 

Der Gesetzesvorschlag schließt neue GVO von der bestehenden EU-Gesetzgebung zu GVO aus. Insbesondere schließt er die meisten von ihnen von der Sicherheitsprüfung aus und erlaubt ihre absichtliche Freisetzung in die Natur und ihr Vorhandensein in der Nahrungskette ohne jegliche Bewertung der Risiken, die dies für die Natur oder die menschliche Gesundheit darstellen könnte. Der Vorschlag schließt auch die meisten neuen GVO von der Überwachung nach der Freisetzung aus, die notwendig ist, falls Probleme auftreten oder Verbraucher*innen oder die Natur betroffen sind, die bei der Risikobewertung nicht berücksichtigt wurden. Unabhängige Wissenschaftler*innen und nationale Behörden aus Frankreich, Deutschland und Österreich warnen davor, dass neue GVO Risiken für die Natur (z. B. veränderte Wechselwirkungen mit Bestäubern) und die menschliche Gesundheit (z. B. Allergenität oder Toxizität) darstellen könnten. 

Der Vorschlag wird auch die Wahlfreiheit für Erzeuger*innen und Bürger*innen einschränken, da die meisten neuen GVO nicht mehr rückverfolgbar und in Lebensmitteln gekennzeichnet sein werden. Diese Deregulierung neuer GVO wird erhebliche sozioökonomische Auswirkungen auf Landwirt*innen, Züchter*innen und andere Akteur*innen in der Lebensmittelkette haben, die jedoch nicht wie vorgesehen in einer Risikobewertung berücksichtigt werden. Die Deregulierung neuer GVO wird Landwirt*innen und Züchter*innen Probleme bereiten, wie im Anhang erläutert. Zu diesen Problemen gehören Biopiraterie mit Privatisierung von Saatgut (Leben), erhöhtes Risiko von Klagen gegen Landwirt*innen und Züchter*innen durch die Patentindustrie wegen Patentverletzungsansprüchen, Verwaltungsaufwand aufgrund von Rechtsunsicherheit (ständige rechtliche Wachsamkeit), erhöhte Produktionskosten, Risiko des Verlusts ihres Geschäfts, verringerte Saatgutvielfalt (Agrodiversität) – die von Landwirt*innen benötigt wird, um sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen – und erhöhte Anfälligkeit für Schadinsekten und Krankheiten. Der Vorschlag stellt auch eine Bedrohung für die bestehenden Rechte der Landwirt*innen dar, ihr Saatgut zu erhalten, zu verwenden, wiederzuverwenden und auszutauschen (Rechte der Landwirt*innen an Saatgut), und für kleine und mittlere Züchter*innen, und könnte auch die Rechte von Landwirt*innen, die biologische und gentechnikfreie Produkte anbauen, verletzen.

Die Nachhaltigkeitsversprechen neuer gentechnisch veränderter Pflanzen sind hypothetisch, da in den letzten zehn Jahren nur sehr wenige neue GVO auf den Markt gekommen sind. Unter den neuen GVO, die auf den Markt gekommen sind, gibt es bereits Beispiele für Marktversagen. Was die Vorteile für die Gesellschaft betrifft, wie z. B. die Anpassung an den Klimawandel mit erhöhter Widerstandsfähigkeit gegen Dürre, d. h. gegen Wasserknappheit, so wird seit langem mit alten und neuen GVO geforscht, bisher jedoch ohne Erfolg. Andererseits bietet die von Landwirt*innen auf ihren Feldern und von kleinen und mittelgroßen Züchter*innen durchgeführte Selektion bereits eine Anpassung an Belastungen wie Dürre (die mit zunehmender Klimaerwärmung voraussichtlich zunehmen wird) und Lösungen, die an spezifische lokale Anbaubedingungen und Anbausysteme angepasst sind. So bieten beispielsweise wissensintensive ökologische Zuchtprogramme erfolgreiche, innovative Sorten mit widerstandsfähigeren Pflanzen, die an die Prinzipien und spezifischen Bedingungen des ökologischen Landbaus angepasst sind. Ein Produkt oder ein landwirtschaftliches Produktionssystem kann nicht allein aufgrund einer bestimmten Pflanzensorte oder eines Merkmals (Pflanzencharakteristik) als „nachhaltig“ bezeichnet werden. Darüber hinaus ist ein Großteil der laufenden Forschung mit NGT-GVO nicht darauf ausgerichtet, Nachhaltigkeit zu erreichen oder der Gesellschaft Vorteile zu bringen, sondern ist verbrauchs- oder industrieorientiert, wie beispielsweise pinkfarbene Ananas.

Die unterzeichnenden Organisationen, die europäische Landwirt*innen und kleine und mittelgroße Züchter*innen, den Lebensmittelsektor und die Zivilgesellschaft vertreten, sind angesichts der potenziellen Risiken neuer GVO für die menschliche Gesundheit und die Natur und der vielen noch offenen Fragen, die auf dem Tisch liegen, d. h. Patente, Identifizierungs- und Erkennungsmethoden, Saatgutpreise, Saatgutvielfalt, Koexistenz, negative sozioökonomische Auswirkungen und das Risiko einer weiteren Kontrolle der Lebensmittelkette durch Unternehmen. Wir sind sehr besorgt darüber, dass die vom Europäischen Parlament und der belgischen und polnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Lösungen für Patente das Patentproblem nicht lösen (siehe Punkt 1.1 im Anhang).

Wir fordern die europäischen Länder auf, ihre Landwirt*innen und Züchter*innen sowie die Bürger*innen und die Natur zu schützen. Alle neuen GVO müssen weiterhin einer Risikobewertung und Überwachungs-, Identifizierungs- und Erkennungsmethoden sowie der Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung entlang der Lebensmittelkette unterliegen. Die Länder müssen in der Lage sein, den Anbau auf ihrem Gebiet zu verbieten oder einzuschränken. Wir fordern die europäischen Länder auf, die Deregulierung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen zu stoppen.

Die Stellungnahme mit Anhängen und unterzeichnenden Organisationen im englischsprachigen Original. 

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