zum Inhalt

Aktuell

Die EU-Kommission hat am 5. Juli 2023 einen Verordnungsvorschlag für die Deregulierung von Pflanzen vorgelegt, die mit neuen gentechnischen Verfahren („NGTs“) erzeugt wurden. Was schlägt die EU-Kommission konkret vor? Welche Auswirkungen hätte die Verordnung auf die gentechnikfreie Saatgutarbeit?

Zusammenfassung der IG-Analyse:

Die Pflanzenzüchter:innen und Saaguterzeuger:innen der IG Saatgut fordern die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf: Lehnen Sie den grundlegend verfehlten Deregulierungs-Vorschlag der EU-Kommission ab!

Denn er widerspricht dem Vorsorgeprinzip als zentralem Grundsatz des europäischen Umweltrechts, schafft die Wahlfreiheit ab und gefährdet – auch über eine Flut von Patenten – kleine und mittelständische Züchtungsunternehmen. Er gefährdet die genetische und biologische Vielfalt und gerade jene Ansätze von Züchtung und Landwirtschaft, welche für die Lösung der sozialen und ökologischen (Biodiversitäts-, Klima-) Krisen dringend benötigt werden. Damit widerspricht der Deregulierungs-Vorschlag auch anderen Zielen der EU-Kommission, wie z.B. dem 25%-Ziel für die biologische Landwirtschaft im Rahmen des Green Deals.

Der Verordnungsvorschlag der Kommission wird darüber hinaus überhaupt nicht benötigt. Denn das geltende Gentechnikrecht, welches das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit respektiert und bisher auch für Pflanzen aus neuer Gentechnik gilt, ist flexibel genug, um auch die Risikoprüfung von NGT-Pflanzen abzudecken und der Dynamik wissenschaftlicher Entwicklungen stand zu halten. Es enthält kein Verbot für NGT-Pflanzen, sondern ermöglicht beides: Die Vermarktung von NGT-Pflanzen sowie die gentechnikfreie Erzeugung.

Der Verordnungsvorschlag der Kommission enthält eine radikale Deregulierung eines großen Teils von NGT-Pflanzen, die nach wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Kriterien einer so genannten „Kategorie 1“ zugeordnet werden. Für diese „Kategorie 1“-NGT-Pflanzen sollen die Risikoprüfung, Kennzeichnungspflichten, Rückverfolgbarkeit, Vorsorgepflichten zur Verhinderung von Kontaminationen, Haftungsregeln und die Pflicht zur Vorlage von Nachweisverfahren abgeschafft werden.

Auch für alle anderen NGT-Pflanzen ("Kategorie 2") soll die Regulierung deutlich abgeschwächt werden. So würden z. B. die Anforderungen an die Risikoprüfung verwässert. Nachweisverfahren müssten nicht in allen Fällen vorgelegt werden, nationale Anbauverbote wären nicht mehr erlaubt.

Zudem würden angebliche "Nachhaltigkeits-Merkmale der NGT-Pflanzen" von offizieller Seite abgesegnet, um deren Marktzugang zu erleichtern. Auch soll es möglich werden, Gentechnik-Produkte mit einer Kennzeichnung zu angeblich "nachhaltigkeitsrelevanten" Merkmale zu bewerben. Gerade auch im Zusammenhang mit einer Einführung der Prüfung eines "Wertes für nachhaltigen Anbau und Nutzen" im Rahmen der Sortenzulassung, welche die Kommission im Rahmen der parallel ablaufenden Saatgutrechtsreform vorschlägt, steht zu befürchten, dass NGT-Sorten im Rahmen eines Zusammenspiels der Gentechnik-Deregulierung mit dem Saatgutrecht unter dem Deckmantel einer Pseudo-Nachhaltigkeit in großem Stil der Marktzugang erleichtert werden soll. Für Sorten aus tatsächlich nachhaltiger, gentechnikfreier Züchtung wie z. B. der Ökozüchtung könnte der Marktzugang und -erfolg in so einer Situation hingegen signifikant erschwert werden.

Laut ihrem Vorschlag soll die EU-Kommission sehr viel Macht ausüben dürfen und nicht nur im Einzelfall über die komplette Deregulierung von NGT-Pflanzen (als "Kategorie 1"-NGT-Pflanzen) entscheiden können, sondern auch mit "delegierten Rechtsakten" über die Weiterentwicklung essentieller Elemente der Gesetzgebung wie z. B. der "Gleichwertigkeits"-Kriterien für NGT- Kategorie-1-Pflanzen in Anhang I oder der Liste von angeblichen Nachhaltigkeitsmerkmalen in Anhang III. Dies widerspricht dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, nach dem die Kommission delegierte Rechtsakte nur erlassen darf, um nicht wesentliche Elemente eines Rechtstextes zu ergänzen oder zu ändern.

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und die Mitglieder des Europäischen Parlaments sind nun dringend aufgefordert:

Lehnen Sie den Deregulierungs-Vorschlag der EU-Kommission ab! Sichern Sie das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit und eine zukunftsfähige Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft in Europa! Sorgen Sie dafür, dass NGT-Pflanzen auch weiterhin gemäß der bisherigen Gentechnikgesetzgebung reguliert werden: mit einer Risikobewertung gemäß dem Vorsorgeprinzip, einer durchgehenden Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette, wirksamer „Koexistenz“- und Vorsorgepflichten gemäß dem Verursacherprinzip sowie mit einer Pflicht zur Vorlage von Nachweisverfahren.

Zum ausführlichen Analysepapier  der IG Saatgut.

zum Anfang der Seite